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Wenn Grundrechte zu Privilegien werden

Für Jemanden

Vor ein paar Tagen hatte ich eine interessante Unterhaltung mit Jemanden, der meinte, dass er sich gegen Covid 19 impfen lassen würde – und zwar allein „wegen der Vorteile“. Obwohl ich der Ansicht bin, dass diese Entscheidung jeder für sich und vor allem freiwillig treffen sollte, machte mich diese Aussage wütend, was dieser Jemand auch zunehmend merkte und hinterfragte. Warum es mir denn so wichtig sei, ob er sich impfen ließe, das könne mir doch egal sein. Schließlich sei es seine Entscheidung, sein Körper und auch die etwaigen Folgeschäden einer Impfung würde er in Kauf nehmen. Aber er wolle schließlich irgendwann mal wieder in den Urlaub!

Den Wunsch nach Reisen und Urlaub, verstehe ich sehr gut. Was ich jedoch nicht verstehe ist, dass man ernsthaft sagen kann: „Ich hab zwar durchschaut, dass die in Aussicht gestellten Privilegien eine Masche sind, um die Impfbereitschaft der Menschen zu erhöhen, aber ich lasse mich trotzdem darauf ein, ich will schließlich in den Urlaub.“ Das Problem, dass ich bei dieser – ich nenne es mal vorsichtig bequemen – Denk- und Verhaltensweise sehe, ist Folgendes: Wenn alle so denken und danach handeln, dann gibt es bald mit ziemlicher Sicherheit wirklich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Geimpften vs. die Ungeimpften. Die Privilegierten vs. die Unpriviligierten. Die Vollwertigen vs. die Minderwertigen. Kommt das Jemandem bekannt vor?

Erstaunlicherweise gibt es schon ein Land, das weltweiter Vorreiter auf dem Gebiet der Klassifizierung und Stigmatisierung seiner Einwohner zu sein scheint. Erschreckenderweise ein Land, das es allein aus historischen Gesichtspunkten besser wissen sollte.

Doch nicht nur die drohende Zwei-Klassen-Gesellschaft und die damit möglicherweise einhergehende Diskriminierung und Stigmatisierung von „Impfverweigerern“ erschreckt mich, sondern vor allem die Tatsache, dass es sich bei den sogenannten „Privilegien“, die mit einer Impfung daher kommen sollen, ehemals um unsere Grundrechte handelt. Grundrechte, die uns aufgrund der ohnehin schon fragwürdigen Feststellung einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite nationaler Tragweite“ genommen wurden und deren Wiedererlangung nun an Bedingungen geknüpft werden. Wozu sonst dient die Einführung dieses neuen und viel zitierten digitalen Impfausweises?

Theater- und Konzertbesuche? – Künftig nur mit Impfung!

Besuch von Freunden und Familienmitgliedern im Ausland? – Nur mit Impfung!

Kita-Platz? – Gerne, aber mit Impfung!

Shoppen? – Ja, klar! – Aber nur mit Impfung!

Arbeitsplatz im Pflegesystem? – Nur mit Impfung?

Du möchtest mit Menschen zusammenarbeiten? – Wie schön! Aber nur mit Impfung!

Ach, du hättest überhaupt gerne mal wieder einen Arbeitsplatz! – Kannst du haben: Her mit dem Arm!

Für wen das nach alles nach Verschwörungstheorie klingt, der solle sich einfach mal bereits öffentlich gemachte Statements von Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Quantas1 und Ticketanbietern wie Eventim2 zu Gemüte führen, nach denen künftig nur noch Geimpfte befördert und bespaßt werden sollen. Auch an den Türen mancher Boutique findet sich bereits ein entsprechender Hinweis: Klamotten gibt es dann vielleicht bald auch nur noch für Geimpfte3. Und die Bild berichtete bereits Anfang des Jahres über die ersten Kündigungen von Pflegekräften in einer Senioreneinrichtung, die sich nicht impfen lassen wollten4. Ob solche Kündigungen nun Rechtens sind oder nicht, muss wohl (noch) abschließend geklärt werden, jedenfalls spiegeln sie sehr schön die Gesinnung manch eines im vorauseilenden Gehorsam handelnden Arbeitgebers wieder. Wer immer noch nicht überzeugt ist und denkt, es handle sich hierbei um die düstere Dystopie einer desorientierten Aluhutträgerin, der schaue einfach mal nach Israel und mache sich mit dem dort neu eingeführten grünen Pass56 vertraut.

So oder so ähnlich könnte die schöne, neue Welt ab Herbst 2021 laut Medienberichten und Aussagen einiger Politiker aussehen. Dann nämlich, wenn „bis zum Sommer alle Bürger*innen ein Impfangebot erhalten haben“ wie von Mutti Merkel kürzlich versprochen.

Und wer, wie mein Freund – ein gewisser Jemand – glaubt, dass es dazu nicht kommen wird, weil wir ja in Deutschland so eine stabile Verfassung und so ein tolles Rechtssystem haben, der führe sich nochmal die Entwicklungen des letzten Jahres vor Augen. Und Jeder stelle sich bitte mal ehrlich und ernsthaft die Frage, ob er Anfang März 2020 bereits für bahre Münze genommen hätte, dass er in den kommenden 12 Monaten nicht mehr frei entscheiden darf, mit wie vielen Personen er sich trifft und wo er sich aufhalten möchte, dass er zum Einkaufen eine Maske tragen und zum Shoppen einen Termin machen muss, dass er seine kranken Angehörigen nicht im Krankenhaus besuchen und sein Kind nicht in die Kita oder Schule schicken darf. Dass es fast ein Jahr so gut wie keine Konzerte, Theaterstücke, Kinobesuche, Partys, Hochzeiten und größere Feierlichkeiten geben wird, dass er teilweise auch in der Natur und beim Joggen einen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen muss und dass er nicht mehr ins Fitnessstudio, ins Restaurant oder ins Schwimmbad gehen darf, wenn er nicht vorher nachweisen kann, dass er gesund ist. Dass er vielleicht über ein Jahr nicht arbeiten darf, Insolvenz anmelden und Hartz VI beantragen muss, um wenigstens am Existenzminimum zu (über)leben. Hätte das irgend Jemand vor einem Jahr für möglich gehalten?

Oder hätte nicht Jemand gesagt, dass es nicht soweit kommen wird, weil wir ja in Deutschland so eine stabile Verfassung und so ein tolles Rechtssystem haben?

Falls jetzt Jemand in der Aufzählung all dessen, was man vor einem Jahr noch nicht für Möglich gehalten hätte, sich nun aber als der tägliche Wahnsinn darstellt, überrascht ist und sich fragt, wie diese Entwicklung so unbemerkt an einem Vorbeiziehen konnte, der google mal das Wort „Salamitaktik“ oder führe sich meinen Blogbeitrag „Der deutsche Frosch in Merkels Topf“ zu Gemüte7.

Das Schlimme ist: Diese Taktik zeigt Erfolg! Die Menschen werden mürbe, haben keinen Bock mehr auf Lockdown, Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen, wollen wieder in den Urlaub. Und sind sogar bereit sich deswegen einen Impfstoff verabreichen zu lassen, für den es noch keine Langzeitstudien gibt (und nicht geben kann, weil dafür braucht es eben ZEIT!), der nicht ausreichend geprüft ist und deswegen auch lediglich eine Notfallzulassung erhalten hat.

Und genau deswegen regt mich die Denkweise meines Freundes so auf. Sie ist keine Entscheidung für den Impfstoff aus Überzeugung und kritischem Abwägen heraus, für die Gesundheit, für den Selbst- und Fremdschutz, aus Solidaritätsgründen, etc… Es ist bloß die Wahl des (vermeintlich) geringeren Übels, der Weg des geringsten Widerstandes, eine reine Bequemlichkeitsentscheidung – und als solche auch noch BEWUSST getroffen. Und sie ist eben nicht nur eine Entscheidung für diesen Jemanden selbst. Sondern indirekt auch eine Entscheidung für alle, die sich nicht impfen lassen, die nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen wollen. Denn je mehr Menschen sich impfen lassen, um ihre Grundrechte(!) wiederzuerlangen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es in Zukunft überhaupt noch Grundrechte gibt. Denn Grundrechte sollten schon dem Namen nach etwas Grundlegendes sein, sie sollten den Grund legen für eine demokratische Verfassung, für Freiheit und Selbstbestimmung und dem mündigen Bürger helfen wichtige, existenzielle Werte wie die Würde des Menschen begründen zu können.

Warum sollte es noch Grundrechte geben, warum sollten Politiker, warum sollte eine Regierung Grundrechte gewähren, wenn man sie doch – wie man nun sieht – ebenso gut an Bedingungen knüpfen kann? Wenn doch ein Großteil der Bevölkerung bereit ist, sich impfen zu lassen, für ein bisschen Urlaub, ein bisschen Freiheit, ein bisschen Selbstbestimmung? Ganz ehrlich, warum sollte irgendein Politiker das tun? Kann mir Jemand diese Frage beantworten?

Und wie wahrscheinlich ist es dann, dass Jemand wie ich, der sich nicht impfen lassen möchte, um Grundrechte wiederzubekommen, für die Generationen von Menschen gekämpft und geblutet haben, für die sie auf die Straße und teilweise sogar in den Tod gegangen sind, Freiheit, Selbstbestimmung und Reiserecht (um nur einige wenige zu nennen) zurück erhält? Wenn es doch genug Menschen gibt, die das Spiel der Politik mitspielen, die auf die Masche reinfallen oder zumindest darauf eingehen? Diese Menschen treffen mit ihrer Entscheidung auch ein wenig die Entscheidung für andere mit, oder nicht?

Mein Freund konnte abschließend zumindest meine Emotionalität in diesem Thema nachvollziehen, gab mir jedoch den Rat mich an die Politik zu wenden: Denn nicht die Menschen könnten etwas ändern, nur die Politiker, die Regierenden. Doch genau das habe ich ja schon ein Jahr lang versucht. Das Traurige ist nur, dass ich nach einem Jahr regelmäßiger Demo-Teilnahme, Debatten, Diskussionen, (mal mehr, mal weniger erwünschter) Aufklärungsarbeit im Freundes- und Familienkreis, Weiterverbreitung von Studien, Artikeln und Videos, Blogbeiträgen, Schreiben an Verlage und Ministerien, immer mehr das Gefühl habe, gegen Windmühlen zu kämpfen. Daher nun mein tollkühner Gedanke, nicht die übergeordneten Entscheidungsträger zu erreichen, sondern die darunter. Die Menschen, die ebenso wie ich von den Entscheidungen „von den da oben“ abhängen und doch selbst jeden Tag unzählige Entscheidungen treffen, die etwas bewirken, etwas verändern können. Nur ist Letzteres den meisten offenbar nicht bewusst.

„Kein Wunder, dass du gegen Windmühlen kämpfst, bei deiner Art zu argumentieren und an die Sache heranzugehen, überrascht mich das nicht“, sagte mir mein Freund Jemand noch zum Abschluss und ich frage mich seitdem, was denn eine bessere Art wäre.

Nach einer mehrstündigen hitzigen Debatte, blieb jedenfalls ein dumpfes, trauriges Gefühl in mir zurück. Das Gefühl nichts ausrichten zu können, egal, was ich tue oder sage. Entweder bin ich zu emotional, nicht Experte genug (weil ich keinen Doktor in Genetik und/oder Epidemiologie habe) oder zu sehr Experte, weil ich viel zu tief drin stecke in der Materie und meine Gesprächspartner sich nicht so sehr mit dem Thema beschäftigt haben und außerdem bin ich durch meine persönliche Betroffenheit durch Jobverlust und Arbeitslosigkeit ja auch gar nicht objektiv genug um hier irgendwas sachlich beurteilen zu können. Das stimmt natürlich alles. Und trotzdem kann ich nach jeder noch so hitzigen Debatte immer noch etwas Gutes an meiner unqualifizierten, emotionalen, subjektiven und oft wenig von Erfolg gekrönten Art finden: Ich mag gegen Windmühlen kämpfen, aber immerhin kämpfe ich. 🙂

Quellen:

1 https://www.fr.de/panorama/corona-impfpass-eu-impfung-urlaub-reise-flug-einreise-frankfurt-spanien-portugal-griechenland-ltt-zr-90179983.html

2 https://www.mdr.de/brisant/eventim-impfung-corona-100.html

3https://www.hr-inforadio.de/programm/das-thema/coronavirus-keine-impfung-kein-zutritt,corona-impfpflicht-100.html

4 https://www.bild.de/news/inland/news-inland/7-pflegedienst-mitarbeiter-gekuendigt-erster-chef-schmeisst-impf-verweigerer-rau-75035802.bild.html

5https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-02/corona-impfung-israel-skeptiker-privilegien-lockerung-fake-news?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

6https://www.schwaebische.de/ueberregional/politik_artikel,-israel-fuehrt-erleichterungen-fuer-geimpfte-und-genesene-ein-_arid,11331350.html

7https://awieandetta.com/2020/11/29/der-deutsche-frosch-in-merkels-topf/

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